Nachtschicht

Es ist ja so: Bei der Entwicklung einer Idee steht der kreative Gedanke im Vordergrund. Man weiß in der Konzeptionsphase nicht zwingend, wie später die Produktion konkret aufgebaut sein wird – oder wohin sich eine Idee entwickelt. So auch beim aktuellen Projekt.

Es ist schon etwas länger her, dass ich dem ECM-Software-Hersteller Optimal Systems meine Idee vorstellte, einen Imagefilm im Miniaturwunderland Hamburg zu realisieren. Ich wollte die unterschiedlichen Branchen, in denen die OS-Software zum Einsatz kommt, anhand dieser kleinen Modell-Welt visualisieren und so auf – für die Business Software-Szene – ungewöhnliche Weise die Vielfältigkeit und Leistungsstärke der Optimal Systems-Produkte darstellen.

Das OS-Marketing fand sofort Spaß an der Idee, aber bis es jetzt zur Realisierung kam, verging noch einiges an Zeit. Das Konzept wurde ein paar mal verändert, umgeschrieben, verfeinert – bis zuletzt nicht ein Film entstehen sollte, sondern gar NEUN(!): Jede Branche sollte nun seinen eigenen, kurzen Trailer bekommen. Das bedeutete für die Umsetzung zwei sehr, sehr knackige Drehtage. Moment. DrehTAGE? Tagsüber hat das Miniaturwunderland logischerweise geöffnet, wir brauchen die Anlage aber menschenleer, also mussten wir nachts drehen.

Wie diese Nächte abliefen, habe ich in einem Stundenprotokoll aufgeschrieben.

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NACHT #1

19.00 Uhr. Als wir uns vorm Miniaturwunderland treffen, ist die Stimmung vergleichbar mit der vor Klassenfahrten früher: Erwartungsvoll, gespannt, aufgekratzt. Hinzu kommt, dass einige von der Crew noch nie im Miniaturwunderland waren und entsprechend neugierig bis zum Anschlag sind. Das ist für mich das Schöne an meinem Job: Man freut sich auf das, was kommt. Weil es eben nicht nur Arbeit ist, sondern meistens auch ein Erlebnis. Ich liebe meinen Job.

20.00 Uhr. Aufbau. Obwohl ich nun schon häufiger in der Ausstellung war – allein in der Vorbereitung auf diesen Dreh drei Mal innerhalb von wenigen Wochen – ist das Betreten der Halle diesmal extrem speziell. Leer. Kein Mensch weit und breit. Nur unser kleines Team. Gänsehaut-Atmosphäre.

21.00 Uhr. Drehbeginn. Felix vom Miniaturwunderland ist unser „Bahnfahrer“ für die zwei Nächte. Er steuert die komplette Anlage vom Leitstand aus. Mittels eines Funkgeräts gebe ich ihm Kommandos, welchen Zug, welches Auto und welches Flugzeug er in dieser Mini-Welt wann wohin steuern soll. Fühle mich ein bisschen wie Gott.

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21.30 Uhr. Vom Kunden sind nun auch Sven und Laura am Set. Die beiden finden noch ein paar schöne zusätzliche Miniatur-Szenen, die uns bei den Vorbereitungen nicht aufgefallen sind. Das ist super für den späteren Schnitt. Aber eher suboptimal für meinen Zeitplan.

23.00 Uhr. Zwei Stunden um und wir sind gerade mal mit den Szenen in der Schweiz fertig. Wir hängen bereits ungefähr eine Stunde. Ich fange an, im Kopf durchzurechnen, was uns jede zusätzliche Stunde Dreh hier kosten würde. Aber davon lasse ich mich selbstverständlich nicht aus der Ruhe bringen. Ansprechen sollte mich jetzt allerdings besser auch keiner.

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23.30 Uhr. Wir sind im Flow. Läuft. Regie-Assistentin Tina freut sich auch, dass ich wieder mit ihr rede.

0.00 Uhr. Wir drehen am wirklich, wirklich, wirklich beeindruckenden Flughafenmodell. Das ist das Problem bei diesem Dreh: Man ist so fasziniert von dieser spektakulären Mini-Welt, dass man quasi automatisch Zeit verliert, weil man immer noch ein bisschen länger an einer Stelle verweilt, um zu gucken.

1.00 Uhr. Wir hängen immer noch dieser einen ver*#?(&!!*$“§#&# Stunde hinterher. Das Team will irrwitzigerweise trotzdem Pause machen. Ich akzeptiere – denn sie sind in der Überzahl. Es gibt übrigens Hot Dogs zum Selbermachen.

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1.30 Uhr. Okay, das war lecker. Jetzt schön ’ne Runde Hinleg… Aaaaargh!

2.00 Uhr. Für zwei Uhr bin ich doch erstaunlich fit. Auch das Team fluppt. Fix mit Tina die nächsten Szenen mit gelben Zetteln markiert, die dann ratzfatz abfilmen, ganz easy – ein Lacher!

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3.00 Uhr. Gelbe Zettel nerven.

4.00 Uhr. Die Kunden sind cool! Arbeiten und denken mit, helfen, wo sie können. Jetzt verabschieden sie sich zum Pennen ins Hotel. Ich hasse sie.

5.00 Uhr. Obwohl wir noch eine Menge zu tun hätten, beende ich die erste Drehnacht. Kraft nicht komplett aufbrauchen. Morgen steht ja das gleiche Programm auf dem Plan. Welcher Bekloppte denkt sich sowas nur aus…?

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NACHT #2

20.00 Uhr. Habe nach der ersten Nachtschicht nur drei Stunden geschlafen. Bin gespannt, wann sich das Schlafdefizit bemerkbar macht und ich müde werde.

20.07 Uhr. Antwort: Jetzt.

20.30 Uhr. Aufgrund einer Veranstaltung im Miniaturwunderland, verzögert sich der Drehbeginn etwas nach hinten. Viele Gäste können sich nicht von der faszinierenden Anlage losreißen. Wer kann es ihnen verdenken? Wir brauchen sie aber (Achtung, jetzt kommt’s!) gähnend leer. Also abwarten und Kaffee trinken. Mit Betonung auf KAFFEE.

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21.00 Uhr. Drehbeginn. Heute auch mit Darsteller Patrick, der für den Dreh aus Bremen angereist ist. Damit er nicht die ganze Nacht bleiben muss, starten wir direkt mit seinen Szenen, die später dann das Ende des Films bilden. Und ein guter Freund von mir überrascht uns heute Nacht spontan: Der Lichtmaschinist (werft mal einen Blick auf seinen Fotoblog, lohnt sich!), besucht uns am Set. Von ihm stammen auch die hübschen Bilder hier. Lieben Dank!

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23.00 Uhr. Patrick Päddy (nach zwei Stunden ist man dann halt beim Spitznamen) hat seine Sache gut gemacht, wir sind mit seinen Szenen durch. Auch er haut aber nicht gleich ab, sondern nutzt die Zeit, um die Anlage anzuschauen. So leer wird er sie ja vermutlich nie wieder sehen.

 

23.30 Uhr. Pizzapause. Patrick verabschiedet sich anschließend nach Hause – und kann schlafen. Ich hasse ihn.

0.00 Uhr. Weiter geht’s. Der Spruch von Kamera-Olli „Keine Müdigkeit vorschützen!“ kommt nur so semi-gut an.

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1.00 Uhr. Ganz ehrlich: Ich bin mit absoluter Sicherheit der müdeste Mensch hier am Set. Tina übernimmt zwischenzeitlich meinen Job (Warum wirkt die eigentlich während des gesamten Drehs fresh??). Macht sie super. Dann kann ich doch jetzt nach Hause ins Bett, oder…?

2.00 Uhr. Okay, ich hasse meinen Job, ich hasse dieses Projekt, ich hasse gelbe Zettel, ich hasse Leute, die schlafen können. Wir haben bis maximal 6.00 Uhr Zeit, im Miniaturwunderland zu drehen und ich sehe jetzt schon, dass es eine hautenge Kiste wird. Ich hasse übrigens auch Zeitdruck. Eigentlich hasse ich gerade alles.

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3.00 Uhr. Ich gehe mit Tina die restlichen Szenen durch. Wieso sind denn da immer noch so viele gelbe Zettel? Wer hat die da hingeklebt?!

4.00 Uhr. Mittlerweile hat das ganze Team einen Tunnelblick. Es wird sehr wenig geredet und mit dem Rest an Konzentration, die übrig geblieben ist, die letzten Szenenbilder abgearbeitet. Jedes Umbauen der Kamera nervt. Mir tut alles weh: Kopf, Rücken, Knie und Knöchel. Außerdem ertappe ich mich dabei, wie ich alle fünf Minuten auf die Uhr schaue. Das senkt nicht gerade meine Stresspegel.

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5.15 Uhr. Endspurt. Wir haben alle Aufnahmen auf der großen Modellanlage beendet. Nun fehlen nur noch ein paar Bilder in der Utopia-Ausstellung, in der die sechs im Bundestag vertretenen Parteien anlässlich der Bundestagswahl 2103 auf jeweils einem Quadratmeter Modelllandschaft ihre Visionen für Deutschland präsentieren. Ziemlich abstruse Sachen dabei… Passt zum Geisteszustand nach fast 18 Stunden Nachtdreh.

6.00 Uhr. Punktlandung! Letztes Bild im Kasten. Feierabend. Wo kriegen wir jetzt ein Bier her? Felix organisiert ein paar aus der Restaurantküche. Feiner Kerl! Eine irgendwie unwirkliche Atmosphäre, wie wir alle auf den Besucherbänken hocken, jeder ein Feierabend-Bier in der Hand – um sechs Uhr morgens. Irgendetwas zwischen Erschöpfung, Freude und bereits beginnendem Wehmut. Man möchte feiern und schlafen zugleich.

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7.00 Uhr. Als ich zu Hause ankomme, bin ich zu kraftlos, um direkt auszusteigen. Ich bleibe noch eine Weile im Auto sitzen und sehe Leute, die gerade auf dem Weg zu ihrer geregelten Arbeit sind. Haben die es gut. Und als ich dann nach einer gefühlt halben Stunde immer noch erschöpft, genervt, übermüdet und leer aussteige, lächle ich, denn: Ich liebe meinen Job.

Übrigens: Das Ergebnis des Drehs seht Ihr ab kommenden Montag auf dem CeBIT-Messestand von Optimal Systems – und selbstverständlich auch hier auf dieser Seite.

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NACHTRAG

Mit ein paar Tagen Abstand wird mir erst bewusst, wie wichtig gerade bei diesem Projekt das eingespielte und harmonische Team war, in dem sich jeder auf den anderen verlassen konnte. Deshalb ein Dankeschön an die Mannschaft Olli, Tina, Tom, Lennard, Lothar, Patrick, Max und Christoph. Dankeschön auch an Laura und Mario für die äußert fixe und konstruktive Zusammenarbeit. Diese Lichtgeschwindigkeit, in der das Projekt realisiert wurde, wäre ohne Euer professionelles Mitwirken nicht möglich gewesen. Und nicht zuletzt danke an Sven für die Möglichkeit, eine Idee zu verwirklichen.

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3 Comments

  1. says: Pleitegeiger

    Ist eigentlich überliefert, wie entspannt das alles über die Bühne gegangen wäre, wenn Du nicht alle paar Minuten Notizen fürs Blog gemacht hättest…?

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