Es ist Juni. Endlich! Nur noch ein paar Tage, dann startet die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich und dazu fällt mir wieder eine kleine Anekdote von früher ein – nämlich wie ich 2004 mit einem Video meinen ersten „viralen Erfolg“ erzielte. Wohlgemerkt in einer Zeit, als der Begriff „virales Marketing“ gerade erst geboren wurde – und ich ihn selbst damals noch nicht kannte, ehrlich gesagt. Denn 2004 gab es noch KEINYouTube, KEIN Facebook, KEIN WhatsApp. Wir hatten ja früher Nichts. Wir hatten: E-Mail.
Jetzt schon mal „Sorry!“, denn es wird vermutlich ein etwas längerer Text, aber ich hoffe es lohnt sich, ihn zu lesen. 🙂 Jedenfalls ist diese Story exakt so passiert. Also: Kleiner Zeitsprung, ZWÖLF (!) Jahre zurück…
Juni 2004. Die Fußball-EM in Portugal beginnt in wenigen Tagen. Die ohnehin enorme Berichterstattung über solch ein Sport-Großereignis bekommt in diesem Fall noch zusätzlich Zündstoff durch die Gruppenauslosungen. Denn im ersten EM-Spiel trifft die deutsche Nationalmannschaft auf Erzfeind Holland. Ein extrem brisantes Duell aufgrund der Historie dieser Partie. Vor allem die legendäre Spuckattacke von Rijkaard auf Völler aus dem WM-Achtelfinalspiel 1990 wird nahezu täglich in den Medien thematisiert.
FREITAG, 11. JUNI 2004
Ich sitze im Kölner Büro meiner damaligen Agentur – und ärgere mich: „Das kann doch nicht sein, dass wir dieses Sport-Ereignis nicht für einen Kunden nutzen! Aaaargh!“ Es gab keinen konkreten Auftrag, aber ich war gewillt, IRGENDWIE auf diesen Medien-Hype aufzuspringen. Zumindest mal ausprobieren! Irgendwas muss doch gehen.
Mit ’ner blöden Idee im Kopf schnappe ich mir unseren kleinen MiniDV-Camcorder (der Kamera trauer ich heute noch nach, geiles Teil!) und zwei damalige Mitarbeiter der Agentur, die öfters herhalten müssen, wenn ich mir mal wieder etwas Schräges ausgedacht habe. (Ganz viel Liebe für Thommy und Andi! <3)
Im nahen Einkaufscenter kaufen wir zunächst ein Deutschland- und noch ein Holland-Trikot. Zum Drehen gehen wir einfach bei der Agentur ums Eck in eine ruhige Seitenstraße. Innerhalb von 15-20 Minuten entstehen ein paar Testaufnahmen einer Situation, die – so war ich der Meinung – viele im Kopf hatten, aber keiner aussprechen wollte.
Aus den Aufnahmen schnippel ich ein kleines „Mood-Video“. „Quick and dirty“, wie man in meiner Branche auch sagt, also lediglich grob zusammen geschnitten. Denn dieser Clip ist ja nur zur Ansicht für den Kunden vorgesehen, nicht zur Veröffentlichung. Er soll einfach schnell meine Idee in bewegten Bildern darstellen, um das Video nach Ideen-Abnahme und Beauftragung nochmal in „schön“ zu produzieren. Ich schicke das kurze Video mit ein paar Anmerkungen per E-Mail an den Kunden Sportwetten.de (Anmerkung: Die Seite wird heute offenbar von mybet betrieben, damals war es noch ein eigener Anbieter).
Aber: Keine Antwort.
Es war allerdings auch schon Freitagnachmittag. Vermutlich hat die E-Mail keinen mehr erreicht.
SAMSTAG, 12. JUNI 2004
Die EM wird mit dem Eröffnungsspiel Portugal gegen Griechenland angepfiffen. Und ohne es zu ahnen, sollte das auch der Anpfiff für etwas ganz Anderes sein.
MONTAG, 14. JUNI 2004
Der Kunde ruft endlich an: Ja, ist doch ’ne super Idee, machen wir, was der Spaß denn kosten solle. Als ich gerade schon anfange, die Kosten für eine professionelle Realisierung des Clips zu skizzieren, fällt er mir ins Wort: Nein. Nix neu drehen. Er wolle nur wissen, was dieser Clip kosten soll. Der ist doch super so wie er ist. Und dann kommt’s: „Wir haben den Spot doch schon seit Samstag (!) auf unserer Homepage zum Download stehen.“
BITTE?!
Völlig verdattert von der – leicht ungeplanten – Situation und Vorgehensweise nenne ich ihm einen (im Nachhinein lächerlich günstigen) Preis für dieses „Roh-Video“, denn mehr ist es ja in meinen Augen nicht. Er schlägt ein. Ich bin ein Idiot.
Okay, der Clip war also schon seit zwei Tagen online. Umgehend machen wir uns daran, das Video per E-Mail an alle Freunde, Bekannte und Geschäftspartner der Agentur sowie an einige Journalisten-Kontakte zu versenden – als MPG1-Datei mit einer hundsmiserablen Qualität, da die Datei maximal 2-3 MB groß sein darf. Sonst ist das Versenden und Empfangen solch „riesiger“ Datenmengen eine Quälerei. (Geil, oder?! War damals echt so.) Die Empfängeranzahl liegt dabei bei rund 500 Personen. Dazu noch die Download-Möglichkeit auf der Sportwetten.de-Homepage und die Einbindung in den Newsletter. Mehr wird nicht gemacht.
DIENSTAG, 15. JUNI 2004
Der Tag des Deutschland-Spiels.
Es ist noch Vormittag, als das Telefon in der Agentur klingelt. Auf der anderen Seite des Hörers: Die RTL- Nachrichtenredaktion. Es würde ja gerade dieses Deutschland-Holland-Video kursieren (!!!) und sie möchten es gern in ihren Hauptnachrichten am Abend einbauen – also direkt vor dem Deutschland-Spiel! – sofern von unserer Seite bzw. von Kundenseite da nichts dagegen spricht. Sekunden, die wir überlegt haben, ob etwas von unserer Seite dagegen spricht: 0.
Und so lief dieser Layout-Internet-Clip also um 18.45 Uhr integriert in einem redaktionellen Vorbericht auf das EM-Spiel fast ungekürzt in den RTL-Nachrichten – inklusive der URL-Einbindung von Sportwetten.de. Allein dieser Mediawert toppte schon alles.
MITTWOCH, 16. JUNI 2004
Das Spiel endete 1:1 und bot nicht wirkliche Highlights. Aber uns erreicht an diesem Mittwoch ein erneuter Anruf. Diesmal ist es die Redaktion von SAT1. Sie hätten den Spot gesehen (Ja, die waren damals auch schon immer ein bisschen langsamer.) und würden ihn auch gern in einen Beitrag einbauen. Klar. Nur zu. Tut, was ihr nicht lassen könnt.
Abends läuft der Spot dann also auch auf SAT.1, allerdings war der Beitrag etwas krude, wenn ich mich noch richtig erinnere. Das Spiel war gelaufen, der Inhalt war so hingebogen, dass es irgendwie passt, aber der Beitrag machte nicht wirklich Sinn. Egal. Nochmal TV-Präsenz, nochmal Mediawert-Steigerung, Kunde happy. Und ich beiße mir heute noch in den Popo, weil ich den Clip für so ein paar Scheine weggegeben habe.
DONNERSTAG, 17. JUNI 2004
Die beiden Mitarbeiter hochbegnadeten Schauspieler kommen morgens in die Agentur. Für ihren Arbeitsweg nutzen die zwei unterschiedliche öffentliche Verkehrsmittel und BEIDE erzählten unabhängig voneinander, dass sie in der Bahn von wildfremden Menschen angesprochen worden sind, ob sie nicht der Holländer/der Spucker aus diesem Spot seien. Scary. Verrückte Woche.
IN DEN FOLGEJAHREN
Unser Ansprechpartner bei Sportwetten.de wechselte irgendwann das Unternehmen. Er durfte nie über die Zugriffszahlen auf die Homepage sprechen – was uns natürlich brennend interessiert hatte. Ungefähr zwei Jahre nach dieser ganzen Geschichte ergab es sich durch Zufall, dass wir wieder an einem Tisch saßen. Genaue Zahlen konnte er dann nicht mehr nennen, aber er meinte, sie seien „gigantisch gewesen“.
In den folgenden Jahren stellten wir uns immer wieder mal als Agentur bei Marketing-Entscheidern großer Konzerne vor. Bei den Meetings präsentierten wir unter anderem einen Teil unserer Arbeiten – selbstverständlich auch diesen Clip. Mehrmals entgegnete der jeweilige Ansprechpartner: „Ach, der kommt von ihnen? Den hab‘ ich damals auch geschickt bekommen!“
Und wenn Ihr ein bisschen älter seid, kennt Ihr diesen Spot ja vielleicht auch noch. Solltet Ihr ihn damals auch geschickt bekommen und/oder versendet haben, freue ich mich, wenn Ihr das hier kurz in die Kommentare schreiben würdet. Nach wie vor ist es für mich nämlich nicht nachzuvollziehen, was dieses Dingens Werbe-Meisterwerk für Kreise gezogen hat.
„Und? Wie sah das Video denn jetzt aus, verdammt?!“, fragt Ihr jetzt vielleicht. Tja. Es ist mir fast ein bisschen peinlich, den Clip hier zu zeigen, aber ich habe ihn tatsächlich auf YouTube gefunden. Also Film ab!