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Ein Dreh ist kein Mitarbeiter-Event

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Es ist schon etwas her, als ich auf einen Blogartikel der Agentur „Des Wahnsinns fette Beute“ stieß (sehr geiler Name übrigens, im Weiteren hier kurz DWFB), mit der ich via Twitter verknüpft bin und die ich sehr schätze. Ich fand den Artikel informativ und spannend, weil er eine Situation behandelt, die ich auch schon sehr oft bei Drehs erlebt habe: Das Drehen mit Mitarbeitern des Auftraggebers.

Das kommt immer wieder vor. Vor allem bei Imagefilmen, aber auch schon mal bei Spot-Produktionen. Entweder, weil die Firma möglichst authentisch wirken möchte oder weil das Honorar für Schauspieler gespart werden soll – oder halt aus beiden Gründen. Tja, und dann müssen eben die Mitarbeiter ran. Wenn man den Artikel der DWFB liest, könnte man meinen: Geilste Strategie ever! In ihren Augen kann man den Dreh gleichzeitig als Team-Event und zur Mitarbeitermotivation nutzen. Viele Punkte in dem Blogpost lesen sich in der Tat sehr nice und sind aus Agentursicht optimal, um sie dem Kunden flockig präsentieren zu können.

Und jetzt komme ich und sage: Naaaaaaaa jaaaaaa… Denn würde ich als Filmemacher und Regisseur bei dieser Präsentation mit am Tisch sitzen, müsste ich mir öfters auf die Lippen beißen.

Ich picke mir mal ein paar Punkte aus dem Artikel raus, die ich aus Regie- und Producer-Sicht anders sehe und die ein Auftraggeber auch berücksichtigen sollte.

1. VIELE KÖCHE, VERDORBENER BREI UND SO

Laut DWFB könnte man beispielsweise Inhalte für einen Imagefilm auch durch das Befragen verschiedener Mitarbeiter in den unterschiedlichen Unternehmensabteilungen und -ebenen sammeln. Oder eine bereits angedachte Idee dort mit den Angestellten durchsprechen. Klar, KANN man machen – wenn es denn auch bezahlt wird. Denn eins ist klar: Diese „Extra-Runde“ durchs Unternehmen kostet Zeit (für das Sammeln und Verarbeiten der Anregungen, ggf. Neufassungen der Präsentation oder Storyline etc.) und somit auch Geld.

Meiner Erfahrung nach kommen auf diese Weise darüber hinaus meistens nur Ideen auf den Tisch, die – logischerweise – nicht filmisch durchdacht sind. Kann man also meist gleich lassen. Beispiel: Ich hatte mal ein Treffen mit einer Software-Firma. Die IT-ler hatten sogar schon ein fertiges, ellenlanges Drehbuch mit allen Inhalten, Szenen und inklusive einem Text für den Off-Sprecher, der vor lauter Fachbegriffen und IT-Abkürzungen nur so hagelte, verfasst.

Ich bat dann darum, die Zeit zu stoppen und habe den Sprechertext einfach laut, ohne große Pausen, vor allen Anwesenden einmal komplett runtergelesen. Am Ende stand die Uhr bei über zwölf Minuten. Sprich: Mit entsprechenden Text-Pausen, in denen mal nur Videobilder auf Musik zu sehen sind, wäre der Film locker an die 15 Minuten lang geworden. Als ich dann erklärte, dass der Film eine Dauer von drei Minuten nicht überschreiten sollte, war klar, dass sie ihr Drehbuch für die Tonne geschrieben hatten.

Am besten liefen Unternehmensfilmprojekte immer dann, wenn ich einen, maximal zwei verantwortliche Ansprechpartner hatte, die auf Unternehmensseite den (Marketing-)Überblick und die Federführung hatten. Noch besser, wenn sie auch noch ein bisschen Ahnung von Bewegtbild hatten. So komme ich an gebündelte Infos und kann effizient arbeiten.

2. DON’T LAIE TO ME

DWFB schlägt vor, dass man Mitarbeitern auch Anreize für eine Dreh-Teilnahme bietet (zB. Urlaubstagen oder Gutscheinen). Mittels eines Castings könne man feststellen, wer unbedingt mitmachen möchte und wer am besten geeignet ist. Ja, das habe ich auch schon gemacht und es ist durchaus lustig. Als Idee und Maßnahme nice, denn es gibt immer Mitarbeiter, die sich gern mal vor der Kamera ausprobieren. Dabei habe ich sogar durchaus schon richtige Talente „entdeckt“, denen ich nahegelegt habe, sich doch mal in eine Agenturkartei aufnehmen zu lassen.

Aber: Wir landen schnell wieder beim Thema „Zeit ist Geld“. Denn so ein Mitarbeiter-Casting muss ja auch vorbereitet und durchgeführt werden. Die Zeit, die dafür aufgewendet werden muss, könnte man auch direkt in das Honorar der richtigen Darsteller investieren… Nur mal so als Gedanke.

Darüber hinaus ist oftmals das Problem, dass Mitarbeiter meistens keine genaue Ahnung haben, worauf sie sich einlassen. Denn diese Lust am „Schauspieler-Spielen“ schwindet sehr schnell, wenn man ellenlang auf das Einrichten von Kamera und Licht warten oder eine Szene zum fünfzehnten Mal durchspielen muss. Für einen erfahrenen Darsteller ist es dagegen völlig normal, eine Szene so lange zu wiederholen, bis sie eben perfekt ist.

Bei Laien passiert dagegen meist Folgendes: Sie denken, dass es an ihnen liegt, wenn die Szene ständig wiederholt werden muss (auch wenn ich es ihnen immer erkläre, dass es nicht so ist), weil sie irgendetwas falsch machen. Sie werden zunehmend unsicherer oder einfach auch fahriger, weil diese Wiederholungen anfangen zu nerven. Ich habe dafür durchaus Verständnis, aber die Szene wird so eben nicht besser.

Auch hierzu eine Mini-Anekdote: Für einen kleinen Produktfilm eines Reifenherstellers sollte ein Abteilungsleiter kurz ein paar Sätze frei in die Kamera sprechen. Ein supersympathischer und kompetenter Kerl! Im vorherigen Gespräch hatte er mir als Unwissenden den Sachverhalt sehr anschaulich und prägnant in 2-3 Sätzen erläutert. Genau das brauchten wir im Film. Und dann ging das rote Licht an der Kamera an – und bei diesem netten Herrn ging gar nichts mehr. Er wurde nervös, baute megakomplizierte Schachtelsätze, verhaspelte sich ständig, vergaß eine wichtige Information, fing an zu schwitzen, vertauschte Satzinhalte und verkrampfte immer mehr. Nach rund zwanzig Versuchen brach ich ab. Mir war klar: Nicht einen Take konnte man davon benutzen. Nach einer Pause versuchten wir es erneut – keine Chance. Es wurde nur ein kleines bisschen besser. Ich hatte also  die Wahl zwischen: Quäl ihn, bis er stirbt oder nimm halt, was Du hast.

Ich habe ihn leben lassen, musste aber somit leider einen Film abgeben, in dem dieser Mensch nie so professionell und souverän wirkte wie in unserem Vorgespräch.

3. PROFESSIONELLE OBERFLÄCHLICHKEIT

Ich sag‘ immer: Ich weiß schon, warum ich hinter der Kamera stehe und nicht davor. Es gibt einfach Menschen, die sind halt fotogener als andere, die haben eine andere Ausstrahlung vor der Kamera, die wirken auf Bildern und Videoaufnahmen einfach super und haben deshalb auch jeden Euro, den sie dafür kriegen, verdient. Authentizität hin oder her: Es wirkt sich auf den Look des gesamten Films aus, ob da eben ein gutgebauter, kerniger Typ die Holzlatten zurecht sägt – oder der reale Mitarbeiter mit ungepflegten Zähnen und Bierplauze; ob eine hübsche Business-Frau den Telefonhörer abnimmt oder eher der Typ Mauerblümchen.

Sorry, ich weiß, das klingt jetzt wahnsinnig oberflächlich, aber ich hoffe, diese Anmerkung sei mir an dieser Stelle aus rein professioneller Sicht erlaubt. Das muss man dem Auftraggeber auch im Vorwege einfach klarmachen, denn der wundert sich am Ende häufig, warum sein Film jetzt nicht so hochwertig wie die Werbespots im Fernsehen aussieht. So blöde es jetzt klingt: Es liegt ganz oft an den Menschen im Film.

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4. WIEDERHOLUNGEN. KOSTEN. NERVEN.

Ich erwähnte es ja bereits: Zeit ist Geld. Mit erfahrenen Darstellern arbeitet man wesentlich, wesentlich schneller als mit Laien, sprich: Mitarbeitern. Das ist in einem oft eng bemessenen Drehplan ein entscheidender Faktor. Ein Laie weiß meistens überhaupt nicht, wie er wirkt vor der Kamera. Für mich als Regisseur bedeutet das immer: Mehr Zeit aufwenden für Erklärungen, Verbesserungen und Wiederholungen. Schlimmstenfalls ist am Ende die ganze Crew genervt. Ein Schauspieler kann Regieanweisungen in der Regel direkt umsetzen. Das spart enorm viel Zeit – und das Endergebnis ist meistens auch besser.

5. EIN DREH IST KEIN FUN-EVENT

Am Set geht es oft locker zu. Die Stimmung ist eben ganz anders als bei einem „normalen“ Bürojob. Ich habe es schon öfters erlebt, dass Mitarbeiter immer ganz geflasht in dieser für sie ungewohnten Atmosphäre waren. Für uns als Crew ist eine Produktion aber vor allem eins: Eine hochkonzentrierte Angelegenheit.

Denn, was oft von den Mitarbeitern nicht gesehen wird: Wir haben in der Regel eine genau festgelegte Anzahl an Drehtagen, eine begrenzte Menge an Zeit, um den geplanten Film zu realisieren. Alles, was bis dahin nicht im Kasten ist, weil es zeitlich nicht mehr drin war oder schlichtweg vergessen wurde, fehlt später im Schnitt. Einfach nochmal etwas nachdrehen würde entweder das Budget sprengen oder ist aus drehtechnischen Gründen nicht realisierbar (zB. weil das Wetter am nächsten Tag völlig anders ist).

Mit anderen Worten: Man hat nur diesen begrenzten Spielraum. Wenn da nicht alle mitziehen und eine Firma solch einen Dreh quasi als gelungene Alternative zum Betriebsausflug ansieht, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit eine Vollkatastrophe.

FAZIT

Nicht falsch verstehen: Ich verteufel es nicht komplett, mit Laien-Darstellern zu drehen. Manchmal kickt mich auch diese Herausforderung, aus den Leuten das Bestmögliche herauszukitzeln. Dieser SEAT-Clip ist beispielsweise mit zwei Gewinnern eines Preisausschreibens entstanden, die noch keinerlei Dreherfahrungen hatten.

In diesem Fall ging es nicht um einen perfekten Spot, sondern vor allem um die Verknüpfung zwischen PR-Maßnahme (Medien-Kooperation), Incentive-Event (Barcelona-Trip) und Video-Produktion (Online-Spot).

Fun Fact zu dem Clip: Das Mädel aus dem SEAT-Clip arbeitet mittlerweile übrigens hauptberuflich als Schauspielerin. Und das in meinen Augen auch völlig zurecht. So kann es auch laufen.

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